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8:30, Hotel U Klenotnika, Prag

Der letzte Tag also. Der Schlusspunkt, das Ende einer langen Reise, die Landung. Dies ist nun der letzte Akt.

Ich sitze in dem Frühstücksraum meines Prager Hotels, und da es das erste Hotel seit Hong Kong ist, denn sonst habe ich nur in Unterkünften oder „Hostels“ – wenn überhaupt – gewohnt, hält mich hier schon keiner mehr für einen Rucksacktouristen, sondern für einen Geschäftsreisenden, der das übliche mitteleuropäische Hotelfrühstück einnimmt, bestehend aus einem „Kännchen“ Kaffee und dem angebotenen Buffet aus zwei Käsesorten, zwei Wurstsorten, abgepackter Nutella und Früchtemüsli. Es ist, als ob das schon die Vorbereitung für den Alltag in Deutschland ist. Hier im Frühstücksraum sind auch überhaupt keine Backpacker mehr zu sehen, sondern nur ein mürrisches amerikanisches Touristenehepaar und ein paar wie Handelsvertreter aussehende ältere Männer, und überhaupt sagt der Name „Frühstücksraum“ ja schon alles. So etwas wie Frühstücksräume gibt es noch weiter im Osten nicht.


9:30, Stare Mesto, Prag

Das letzte mal die Tasche packen, aus der Tür heraustreten und sich auf den Weg machen, der letzte Tag unterwegs. Es ist der erste wirklich kalte Tag der Reise, aber in Prag wirkt die Kälte nicht störend, sondern eher als Teil der barocken Kulisse.

Es ist so kalt, dass ich mir unweit des Wenzelsplatzes eine schwarze Wollmütze kaufe. Die Strassencafes sind bei der Kälte verwaist. Trotzdem sind die Straßen voll, und es wird sehr viel deutsch und englisch gesprochen. In einem „Alles für 10 Kronen“-Laden entdecke ich einen chinesischen Fahradregenmantel, wie ich ihn mir schon immer in China kaufen wollte, weil es sie in Deutschland nicht gibt, aber jedes mal hatte ich es dann vergessen. Offenbar gibt es sie in Tschechien auch. Beim Bezahlen denke ich mir, dass das jetzt sozusagen mein einziges Souvenir aus Prag ist und dass das vielleicht eine bestimmte Symbolik hat, dass ich das Ding ausgerechnet noch hier finde, aber dann lasse ich den Gedanken fallen. Nicht jeder Trash ist allegoriefähig, alles hat seine Grenzen.


13:30, Hradschin, Prag

Gerade habe ich in der anderen letzten wirklichen Prager Kneipe, die ich am Vortag entdeckt habe, Serviettenknödel mit gerösteten Zwiebeln gegessen und dazu ein Budweiser getrunken. Nun stehe ich hier oben auf einem Aussichtspunkt und schaue auf die Moldau hinunter und denke daran, dass dies nun die letzten Stunden sind, dass ich nachher in Berlin sein werde und dass ich mich wahrscheinlich gerade in einer Art Transformationsstadium befinde, nicht mehr ganz auf der Reise, aber auch noch nicht am Ziel. Es ist ein Abschied, nicht nur von Prag, sondern vom Leben unterwegs. Die letzten Tage bin ich durch Osteuropa getourt, als seien die Hauptstädte mit einer U-Bahn verbunden, so als würde man sagen, fahren wir doch mal kurz auf einen Kaffee nach Budapest, und danach auf ein Bier nach Prag. Im Grunde ist das Leben unterwegs sehr leicht, aber es ist auch gut, dass es jetzt vorbei ist. Nach Lissabon würde ich jetzt von hier aus nicht mehr weiterfahren wollen.

Eigentlich ist das der Moment, die Geschehnisse der letzten zwei Monate Revue passieren zu lassen, wie eine Art Zusammenfassung oder ein Fazit, so würde das zumindest in einem Film passieren, aber komischerweise gelingt mir keinerlei Rückblende, so wir mir das schon im Szechenyi-Bad in Budapest nicht gelungen ist. Wahrscheinlich funktioniert das auch nicht für mich ganz allein, sondern es muss alles erzählt werden. Jetzt, in diesem Moment, ist Usbekistan genauso weit weg hinter dem Horizont, wie es vor zwei Monaten Istanbul war, und wahrscheinlich kann es auch anders nicht sein.

Schon von Bukarest aus hatte ich meinen Freunden in Berlin gemailt, dass ich heute, Freitag den 24. Oktober 2003, um 20:16 in Berlin ankommen werde. Jetzt hoffe ich, dass ich sie alle am Bahnhof treffe, denn ich könnte mir nichts schlimmeres vorstellen als einfach so in Berlin anzukommen, heimlich, still und leise, als sei ich niemals weg gewesen, und umgekehrt nichts schöneres, als von ihnen allen empfangen zu werden.

Ich stehe auf der Aussichtsplattform, unter mir liegt die Karlsbrücke, der Fluss, in der Ferne steht der Prager Fernsehturm, es ist leicht bedeckt, ein etwas trüber, aber nicht grauer Herbsttag. Hier auf dieser Aussichtsplattform ist außer mir niemand, nur ein Polizist kommt langsam den Weg vom Hradschin herunterspaziert, ohne mich weiter zu beachten.

Plötzlich geschieht etwas seltsames: mit einem Mal, wie ich so auf die Stadt hinunterschaue, werde ich richtig nervös, so nervös, als hätte ich Lampenfieber vor einem Auftritt, so richtig zum aufs-Klo-rennen nervös. Es ist diese Art von Nervosität, die alle Eindrücke unwirklicher erscheinen lässt, oder sehr viel deutlicher, so genau kann man das ja nie sagen.

So eile ich ins Hotel zurück, hole mein Gepäck und verlasse Prag um 15:09 mit dem Zug nach Berlin.


17:10, Bad Schandau, nahe der deutsch-tschechischen Grenze

Der Zug ist die letzte Stunde entlang der Elbe gefahren, rechts und links liegt das Elbsandsteingebirge, und jetzt, wo die Sonne herausgekommen ist, leuchtet die Landschaft hübsch, einladend und herbstlich. Auf der Elbe fahren ein paar altertümliche Ausflugsdampfer, und die deutsche Grenze zeigte sich dadurch, dass sich die alten Häuser am Flussufer plötzlich in grauenhafte „Ausflugsgaststätten“ verwandelt haben. Eigentlich wollte ich genau den Moment abpassen in dem ich – nach bald eineinhalb Jahren - wieder Deutschland erreiche, so ähnlich wie man an Silvester die Sekunden rückwärts zählt bis zum Jahreswechsel, eine Handlung, für die es ja auch keinen rationalen Grund gibt. Es gab draussen aber überhaupt keinen Hinweis auf die Grenze, es gab keinen Zaun, die Schienen wurden nicht schlechter, und nicht mal ein lumpiges Hinweisschild hat die Bundesregierung aufgestellt, wobei man doch so schön mit „Willkommen bei Freunden!“ für die WM hätte werben können.

Ansonsten bekomme ich von Deutschland vorerst nicht allzu viel mit, es scheint sich nicht allzu stark verändert zuhaben, allerdings war ich noch nie im Elbsandsteingebirge und kann daher keine Unterschiede feststellen. Die Leute im Zug zumindest haben im vergangenen Jahr keine modische Revolution durchgemacht, soviel ist sicher. Ich lese eine liegengebliebene deutsche Boulevard-Zeitung, und es scheint, dass mich das Verpassen der Sendung „Deutschland sucht den Superstar“ zum absoluten Außenseiter gemacht hat, aber ich hatte damals ja auch schon die erste Staffel von „Big Brother“ verpasst.


19:00, im Zug

Dresden war der letzte Halt vor Berlin, und dort habe ich durch Zufall Sophie und Christian getroffen. Sophie war plötzlich den Mittelgang durch den Wagen gelaufen, und hatte dann Christian angerufen, der tatsächlich ebenfalls im Zug saß. Jetzt bin ich fast wieder zuhause, aber ich bin immer noch genauso aufgeregt wie ich seit heute mittag schon war, und daher bin ich fast nicht in der Lage, etwas sinnvolles zu sagen. Draußen ist es bereits dunkel, und nur ein paar Lichter ziehen vorbei. Wir gehen in das „Bord-Bistro“ und trinken Radeberger. Beim Bezahlen merke ich, dass mit der Euro wie eine fremde Währung vorkommt, zu der ich genauso wenig Bezug habe wie zu tschechischen Kronen oder zu Forint. Langsam, ganz allmählich meine ich zu spüren, dass sich doch einiges verändert hat, nicht nur die Währung, sondern der ganze Rahmen, vielleicht hat sich die Stimmung geändert, die Zusammensetzung der Luft oder die Art, wie die Leute gehen oder im Zug mit unbewegtem Gesicht skeptisch die Zeitung aufschlagen.


20:16, Ostbahnhof, Berlin

Wir stehen alle auf dem Bahnsteig, und ein Tourist macht von uns ein Gruppenfoto, und dann noch eins. Es ist kalt in Berlin, und hier oben am Bahnsteig weht ein kalter Wind.

Eigentlich ist es, wie man so schön sagt und es auch so schön sagen darf, wie ein Traum.
bebe meinte am 2. Apr, 17:36:
just a little notice from bebe
I like very much your story about visit of Praha...but pls next time when you come or write anything 'bout CZ-Republic do not ude terminus OSTEUROPA as it is simply nonsense...just take a look at the map of the Europe. Osteuropa beginns in Ukraine based on cultural, church, historical differencies. All countries that once created O-U Monarchie are MITTLEEUROPA. People not just in CZ are very touchy when hearing 'bout themselves that they are of Osteuropa origin...it is just friendly remark...Apropos Novemeber in Praha has very unique and amgic atmosphere...just come again and visit us in "Mitropa"...bebe 
 

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