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Um elf Uhr morgens verpasse ich fast den Bus von Dogubayazit nach Istanbul, der 22 Stunden spaeter in Istanbul ankommen soll. Bis in den spaeten Nachmittag hinein faehrt der Bus durch das Ostanatolische Bergland, oder, wie meine Mitreisenden natuerlich sagen, durch Kurdistan. Es ist eine vollkommen baumlose, braune, bergige und dramatische Gegend. Auch hier ist es jetzt eindeutig Herbst geworden, und die tiefstehende Sonne beleuchtet kleine, aermliche Doerfer, und weite Ebenenen, durch die Schaefer mit ihren grossen Schafsherden ziehen. Jedes kleine Dorf hat eine Moschee, und alle Moscheen haben identische, spitze, ottomanische Minarette. Blickt man ueber die Ebene, so sie weithin zu sehen. Dadurch wirkt der Islam hier auf verblueffende Art europaeisch: unweigerlich fuehlt man sich etwa an Oberbayern oder den Niederhein erinnert, alles Gegenden, in denen die Dorfkirchtuerme der Landschaft ein bestimmtes Gepraege geben. Im Iran dagegen fehlen die schlanken Tuerme meistens.

Im Bus wird Tee und Fanta ausgeschenkt, und von Zeit zu Zeit geht der Bus-Steward mit einer riesigen Flasche Zitrus-Erfrischungs-Alkohol, der auch fuer diese abgepackten Erfrischungstuecher verwendet wird, durch den Bus und giesst jedem Fahrgast etwas davon in die Haende. Der Bus ist bis auf den letzten Platz besetzt.

Bei Sonnenaufgang befinden wir uns bereits in der Peripherie von IIstanbul. Istanbul hat ungefaehr, niemand weiss es genau, 12 Millionen Einwohner und ist im Grunde die tuerkische Hauptstadt. Die Autobahn verlaeuft entlang des Marmaris-Meeres, das hier nur eine Meerenge ist. Ueberall sind neue Geschaefte und Gewerbebetriebe zu sehen, und fast kein auslaendisches Unternehem scheint zu fehlen. Hier ist die Tuerkei so modern und fortschrittlich wie jedes beliebeige mitteleuropaeische Land, und auch fast so europaeisch.

Kurz vor neun Uhr kommt der grosse Moment, auf den ich schon gewartet hatte: der Bus ueberquert den Bosporus auf der Kemal-Atatuerk-Bruecke, dieser riesigen Haengebruecke die man in Berlin oft auf Tuerkei-Postern sieht, und das bedeutet, dass ich wieder in Europa bin. Wie erwartet sieht es auf der europaeischen Seite Istanbuls genauso aus wie auf der asiatischen, aber immerhin, rein rational betrachtet, habe ich Asien jetzt verlassen.

In Esfahan hatte ich mir die Istanbul betreffenden Seiten des "Lonely Planet"-Reisefuehrers kopiert, und diese schlagen vor, sich umgehend in einen Stadtteil namens Sultanahmed zu begeben, weil dieser nicht nur ganz nah an der Hagia Sophia und "all the other sights" sei, sondern weil es dort auch billige Unterkunft gebe. Ich folge also der Beschreibung und verlasse den monstroesen, aber perfekt funktionierenden Busbahnhof, auf dem sich hunderte von Reisebussen auf mehreren Ebenen durch enge Parkhausgassen zwaengen. Auch die U-Bahn und vor allem die Leute in der Ubahn bestaetigen meinen Eindruck von der Tuerkei: dies ist nicht irgendein obskures islamisches Land, sondern dies hier ist bereits, ohne Zweifel, Europa. Dies alles hier koennte
sich so oder so aehnlich auch in Italien oder Spanien abspielen.

Sultanahmed ist, wie eigentlich zu erwarten war, ein kleiner, einhundertprozentig auf Touristen eingestellter Stadtteil. Hier gibt es die ueblichen Herbergen fuer Rucksacktouristen, die ueblichen Internetcafes, englischsprachige Filme, englischsprachige Friseure,
Heineken und professionelle Freundlichkeit. Ueberall sind Leute mit aufgeschlagenen "Lonely Planet"-Reisefuehrern zu sehen, weiter oben am Hang parken etwa dreissig Reisebusse, also alles die Dinge, die es auf meiner bisherigen Reise nicht gegeben hat und die ich, offen gesagt, auch nicht sonderlich vermisst habe. Ich checke in einer der Herbergen ein, und frage mich mit einem Mal, was ich hier in Istanbul eigentlich drei Tage lang anfangen soll. Ich gehe ein paar Meter zur Hagia Sophia, der alten byzantinischen Kathedrale, und weiter zur Blauen Moschee. Ein Blick auf die Schlangen an den Kassenhaeuschen vor der Hagia Sophia macht wenig Lust darauf, sich von der Menge durch das Kircheninnere schieben zu lassen. Eigentlich sieht das alles ganz schoen deprimierend aus. Vielleicht bin aber auch Europa einfach nicht mehr gewoehnt.

Vor einer Doenerbude im Nachbarstadtteil Beyazit unterhalte ich mich mit dem "Tuervorsteher", wie er sich selber auf deutsch nennt, der die Leute auf fuenf Sprachen in die Doenerbude zu locken versucht. Er erzaehlt mir, dass ich dreissig Dollar pro Tag bekomme, wenn ich Touristen auf Deutsch, Englisch, Franzoesisch und Spanisch anspreche, und einhundert Dollar, wenn ich dazu noch Russisch kann. Die Russen bringen hier das grosse Geld, und tatsaechlich sind viele Schilder in Beyazit zweisprachig auf tuerkisch und russisch. Hier, nur fuenfhundert Meter von den Touristenstroemen entfernt, liegt, vom "Lonely Planet" vollkommen unbeachtet, das russische Istanbul, in dem es vor allem um eines geht: um Schuhe und um Lederjacken, und diese in rauhen Mengen. Beyazit ist voller kleiner, steiler Gassen, in denen sich Schuhe und Lederwaren tuermen, die in den Keller und Hinterhoffabriken hergestellt werden. Das meiste davon wird von russischen Haendlern in Autos oder Kleinbusse verladen und nach Russland oder die Ukraine geschafft. Hier ist die Quelle fuer Schuhe und Lederjacken in Europa. Daher beschliesse ich, mir sofort eine Lederjacke und Schuhe zu kaufen.

In einer Seitengasse gehe ich mit einem Hersteller in seinen kleinen Laden, der sich im dritten Stock eines unscheinbaren Hauses befindet. Hier zeigt sich, dass die Haendler in Beyazit zwar fast kein englisch, dafuer aber fast alle russisch koennen. Das ist fuer mich eine ganz wunderbare Entdeckung, da ich seit Kirgisien und Usbekistan auf Russisch zaehlen und nach dem Preis fragen kann, und ueberhaupt fuer den Jackenhandel genug russisch spreche. Damit ist mir hier in Beyazit genug "street credibility" sicher, um eine Jacke zum russischen Preis zu bekommen. Es ist grossartig, vor allem wenn man ploetzlich weiss, wie unglaublich wenig ein Paar Schuhe beim Grosshaendler in Beyazit kostet: das Einganggebot liegt bei fuenfzehn US-Dollar pro Paar, 140 fuer acht,
leider kein Einzelverkauf, und eine Jacke, die oben im Basar fuer 300 Dollar Touristen angeboten wird, gibt es hier in Beyazit fuer 125 dolari amerikanski, man muss nur mit den Leuten reden, und mit einem Mal ist der erste der drei Tage in Istanbul schon rumgegangen.

Am naechsten Tag gehe ich abends ueber die Galatassaray-Bruecke. Die Bruecke ist voller Angler, am Kai werden geraeucherte Kastanien und frisch gebratener Fisch verkauft, der genauso wie der bayrische Steckerlfisch riecht, ein kalter Wind weht, und mit dem Duft von Maroni und Steckerlfisch in kalter Luft ist Istanbul ploetzlich genauso so wie der Herbst in Mitteleuropa.
banu meinte am 23. Mai, 21:35:
also, die (aeltere) brücke über den bosporus heisst einfach nur 'bosporus'-brücke (trk.: 'bogazici'), die neuere 'fatih'.

die brücke über das goldene horn heisst übrigens 'galata'-brücke. 'galatasaray' ist der name eines gymnasiums und des nach ihm benannten fussballvereins.

vom lonely-planet ist im hinblick auf istanbul und die türkei abzuraten.

grüsse, banu 
 

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