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Nach einer knappen Stunde erreiche ich Guangzhou, frueh genug um den Zug nach Chonqing zu erreichen. Dieser faehrt von der alten Bahnstation, die mit dem neuen Terminal fuer die Expresszuege aus Shenzhen mit einer neuen Ubahn verbunden ist. Trotz der fruehen Stunde fuehle ich mich halbwegs ausgeschlafen. Die Tatsache, dass ich mich, hier im Berufsverkehr in der Ubahn in Guangzhou, gerade auf meiner Heimreise nach Berlin befinde, kommt mit alles andere als vorstellbar vor. Ich nehme an, dass es Tage dauern wird, um das ganz zu verstehen. Glauben wuerde es mir hier in der Ubahn sowieso niemand.

Der Bahnhofsvorplatz ist an drei Seiten von Schnellstrassen umgeben und riesenhaft. Das Bahnhofgebaeude selbst ist ein alterndes, graues, unverkennbar sozialistisches Gebaeude, an dessen Dachkante eine Parteiparole in grossen roten Schriftzeichen verkuendet wird.

In einem Reisefuehrer wurde er einmal als eine Art Vorhof der Hoelle beschrieben. Auf dem Platz sitzen hunderte, wenn nicht tausende Menschen auf zumeist einfachsten Gepaeckstuecken und warten, anscheinend tagelang. Viele von ihnen sind sogenannte "drifters", die auf der Suche nach Arbeit durch ganz China treiben. Ein Polizist auf einem Motorad, eine unvermeidliche riesige Cop-Sonnenbrille tragend, macht Jagd auf einen abgerissen aussehenden Getraenkeverkaeufer. Der Mann rennt durch die Menge, laesst schliesslich sein Paket mit den Getraenken fallen, die sofort von anderen Getraenkehaendlern aufgesammelt werden, dann beginnt eine Ansammlung von Leuten der Polizei zu drohen; trotzdem wirkt alles wie eine alltaegliche, eingespielte Szene. Schnell ein paar Photos machen? Lieber nicht.

Im Bahnhofgebaeude, dass man nur mit einer Fahrkarte betreten kann (was auch die Wartenden auf dem Vorplatz erklaert), kaufe ich ein paar Sachen fuer untwegs. Zug faehrt um elf Uhr in Guangzhou los und kommt um acht Uhr abends in Chongqing an - am naechsten Tag, leider. Statt Wechselgeld gibt mir die Verkaeuferin eine handvoll Lychees.

Dann geht es los. Die Landschaft in Guangdong, der Guangzhou (Kanton) umgebenden Provinz ist flach und wenig markant, schon bald beginnt es leicht zu regnen. Getaeuscht durch die Klimaanlage, die einen unbewusst auch eine kuehle Aussentemperatur annehmen laesst, wirken die traege dahinziehenden Huegel und Felder fast wie ein Herbsttag in der norddeutschen Tiefebene.

Am naechsten morgen erreicht der Zug die Provinz Guizhou, ein bergiger, duenn besiedelter und rueckstaendig wirkender Landstrich. Hier ist nichts von den neuen Industrieanlagen und Gewerben wie in den Kuestenprovinzen zu sehen, hier wechseln sich vereinzelte russschwarze, verfallene Industrieanlagen mit grauen Doerfern ab. Dennoch hat die Gegend einen wilden, rauhen Charme, zumindest vom Zugfenster aus betrachtet. Hier spielen die alten, klassischen chinesischen Raeubergeschichten wie "Die Raeuber vom Liang Shan-Moor", Mao Zedongs erklaertem Lieblingsbuch. Nach Einbruch der Dunkelheit erreichen wir schliesslich die Aussenbezirke von Chonqing. Nachdem ich fast den ganzen Tag ueber geschlafen habe, fuehle ich mich jetzt ausgeruht, und langsam wird mir auch klar, dass ich jetzt wirklich auf der Reise bin. Langsam.
 

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