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Das Fazha-Hotel in Lanzhou bietet ein billiges chinesisches Fruehstuecksbuffet an, das vor allem aus Kohl, Bohnen und Chili besteht. Dazu laeuft auch hier lauter russischer Techno, anscheinend eine Spezialitaet in Lanzhou. Der Zug nach Liuyuan, der Dunhuang am naechsten gelegenen Station, faehrt morgens um 9:30.

Tim, der junge englische Journalist, faehrt ebenfalls nach Dunhuang, und die von unseren chinesischen Mitreisenden gern gezollte Aufmerksamkeit verteilt sich also auf zwei, was ganz angenehm ist. Anders als im Zug von Chengdu sind die Leute ein bisschen weltoffener und brechen nicht sofort in hysterisches Lachen und laute "Ting Bu Dong !!!" (= versteht nicht!!) Rufe aus, wenn man sie nicht versteht. Stattdessen stellt sich schnell heraus, das alle im Zug 1860 Muenchen-Fans sind, was natuerlich an dem neuen Loewen-Spieler Shao Jiayi aus Peking liegt. Die Loewen (yiqian babei liushi munihe) haben jetzt circa 1,2 Milliarden Fans und damit die Bayern vermutlich ueberholt. Wurde auch Zeit. Draussen wird die Gegend einstweilen immer einsamer und staubiger und geht bei Sonnenuntergang schliesslich in eine Wueste ueber.

Liuyuan ist, vor allem um Mitternacht, ein truebes und gottverlassenes Nest, das seine Existenz vemutlich nur der Bahnlinie Peking-Urumqi und seiner Naehe zu Dunhuang verdankt. Dunhang selbst ist eine 130 Kilometer entfernte, inmitten der Wueste gelegene Oase. An der trueben Bahnstation in Liuyuan warten daher alle Taxifahrer der Gegend auf Passagiere nach Dunhuang, und die "Sozialistische Marktwirtschaft mit Chinesischen Eigenheiten", wie sie offiziell ja heisst, zeigt sich bei unserem Verlassen des Bahnofsgebaeudes wieder von ihrer eindrucksvollen und tumultartigen Seite. Nach den gaengigen Vorstellungen unter chinesischen Taxifahrern transportieren Auslaender in ihren Rucksaecken nicht Schmutzwaesche und zerlesene Exemplare von "The Beach", sondern buendelweise druckfrische 100 Dollar-Scheine. Dank zweier Maedchen aus Dunhuang, mit denen wir ein Santana-Taxi teilen, bekommen wir aber schliesslich den Preis, der laut den Leuten im Zug annehmbar ist. Der Fahrer traegt eine wohldesignte Brille und wirkt, was sich durch seine vernuenftige Fahrweise noch verstaerkt, wie ein Intellektueller. Warum Intellektuelle ausgerechnet in Dunhuang Taxi fahren sollten, bleibt jedoch unklar, ausserdem ist es mittlerweile fast zwei Uhr morgens. Die Strasse ist von Sand gesaeumt, und in Dunhuang sind bereits alle ins Bett gegangen. Wir finden schliesslich ein etwas grottiges Hotel an der Hauptstrasse, die, wie sollte es anders sein, Volksstrasse (Renmin Lu) heisst. Im Grunde sind alle chinesischen Staedte gleich.

Bei "John G's Cafe" gegenueber gibt laut der vage ins Englische uebersetzten Speisekarte ein englisches Fruehstueck, das in erstaunlichem Masse einem englischen Fruehstueck aehnelt, ganz hervorragend ist und eine willkommene Abwechslung nach Chili und Bohnen darstellt.

Bei Tageslicht praesentiert sich Dunhuang als ein durch und durch auf Tourismus eingestellter Ort. Die weitaus meisten Touristen sind jedoch nicht Auslaender, sondern Chinesen aus anderen Teilen Chinas, die alle goldene, chargierende, offene Polohemden aus glaenzendem Kunststoff tragen, dazu blaue Anzughosen und einen Guertel, an dem eine Plastik-Krokoledertasche fuer das Mobiltelefon und ein moeglichst grosses Schluesselbund befestigt sind. Das ganze erinnert unweigerlich an die schrillen modischen Vorstellungen der Besatzung des Raumschiffes "Enterprise" in den ersten Folgen von "Star Trek". Chinesische Herrenmode ist, bei aller gebotenen interkulturellen Toleranz, eine der groessten geschmacklichen Entgleisungen, die man sich ueberhaupt vorstellen kann: das KANN man, rein objektiv betrachtet, nicht schoen finden, vollkommen ausgeschlossen. Selbst die schlimmsten Unfaelle im brandenburgischen Hinterland kommen da nicht annaehernd heran. Gluecklicherweise gibt es bereits erste Anzeichen zumindest einer kuenstlersichen Aufarbeitung des Ganzen: in der "Red Gate Gallery" in Peking wurde um die Weihnachtszeit eine Ausstellung mit dem Namen "Happy Peasants" gezeigt, in der ein chinesischer Kuenstler lebensgrosse Puppen entsprechend eingekleidet hatte.

Mein Mitreisender Tim und ich leihen uns bei John G ein paar Fahraeder und fahren ueber eine fuenfspurige, noch nicht fuer Autos geoeffnete Strasse zu Dunhuangs Hauptattraktion, dem von hohen Sandduenen umgebenen "Halbmondsee". Am Rande des kleinen Sees, der entgegen dem englischen Text auf der riesigen Eintrittkarte jedoch nicht "brilliantly stunning tourqoise clear" ist, befindet sich ein schoener alter hoelzerner Tempel, vor dem ein paar Sonnenschirme und Kuehltruhen aufgebaut sind. Es ist frueher Nachmittag, sehr heiss und daher fast leer. Wir trinken Tee und unterhalten uns ueber China und wie das wohl alles weitergehen wird mit dem bevoelkerungsreichsten Land der Welt.

Gegen fuenf Uhr machen wir uns daran, die hoechste Duene, etwa zwei Kilometer entfernt, hinaufzusteigen. Wir ueberqueren eine erste, kleinere Duene, von der man mit einem Bambusschlitten hinunterfahren kann, und gehen dann in Richtung des Sandgipfels. Es ist gar nicht so einfach, im Sand zu gehen ohne einzusinken. Trotz der immensen Hitze hat das ganze grosse Aehnlichkeit mit Skifahren im Hochgebirge, jenseits der Baumgrenze: eine Welt fast ohne Geraeusche, in der der Blick von fast keinen Einzelheiten von den Formen abgelenkt wird; nur ein paar vereinzelte, fussballgrosse Buesche wachsen im Sand. Eine Mondlandschaft. Es sind keinerlei Fusspuren zu sehen, der Grat hinauf zum Gipfel ist wie die Kante eines Lineals. Vom Gipfelgrat zeigt sich, dass die Duenen, die hoechsten etwa zweihundert Meter hoch, sich scheinbar endlos in die Wueste hinein ziehen. Eine atemberaubend schoene, lebensfeindliche Landschaft. Es gibt unter Reisenden ausgemachte "Wuestenfans", die von Wuesten nicht genug bekommen koennen; zu ihnen werde ich vermutlich nie gehoeren. Die Sonne geht gegen halb neun unter, und der Sand wird schlagartig kalt.

Bei "John G'a" treffen wir gegen zehn einen etwa fuenfzigjaehrigen, eindeutig verrueckt wirkenden Deutschen und einen gleichaltrigen baertigen Australier, der uns zu einem Bier einlaedt, unablaessig ueber sich selbst monologisiert und dazu ununterbrochen billige chinesische Zigaretten raucht. Seinem Vernehmen nach war er schon wirklich ueberall und an den obskursten Orten. Als die beiden gegangen sind, laedt uns ein chinesisches Fernsehteam vom staatlichen Sportfernsehen "CCTV 5", das auf Urlaubsreise ist, an ihren Nebentisch ein, und nach soviel Hitze, Sand und soviel Monologen ist ihre Gesellschaft und Herzlichkeit genau das richtige fuer das Ende des anstregenden Tages.

Am naechsten Tag schlaegt die Gesundheit zurueck, und nach den anstrengenden letzten Tagen in Hong Kong und dem schnellen Reisen und dem Tag auf der Duene erwischt mich eine Art Grippe. Am uebernaechsten Tag ist es ein bisschen besser, und ich nehme schliesslich den Abendzug nach Urumqi, obwohl ich nicht weiss, ob es nicht besser waere, noch einen Tag in Dunhuang zu bleiben und richtig gesunf zu werden; aber ich bilde mir ein, dass ich nicht genuegend Zeit habe. Es faellt mir schwer, die Zeit und die Entfernung bis nach Europa einzuschaetzen; und noch habe ich noch immer nicht ganz realisiert, jetzt wirklich unterwegs zu sein.

Im Zug nach Urumqi treffe ich die nettesten Zugmitreisenden bisher, was mich nachtraeglich in meinem Beschluss bestaerkt. Am naechsten Morgen mit einem fiebrig durchgeschwitzten Hemd auf, kurz bevor der Zug gegen sieben in Urumqi ankommt.
 

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