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Kashgar also, die alte Oasenstadt, dessen Name allein Bilder von Ali Baba, Nomaden, reichverzierten Teppichen, verschwitzten britischen Kolonialoffizieren und den Akteuren des "Great Game", dem langen diplomatischen Ringen zwischen Russland und Grossbritannien ueber die Herrschaft ueber das strategisch wichtige Chinesisch Turkestan heraufbeschwoeren.

Tatsaechlich setzt sich bereits am Busbahnhof der nahoestliche Eindruck fort. Mit einem klapprigen, roten Citroen-Taxi fahre ich zum "Seman-Hotel". Der Fahrer hat eine Holzperlenkette am Rueckspiegel befestigt und spricht Mandarin mit rollendem, tuerkischem Akzent. In Strasse am Busbahnhof reihen sich Laghman-Restaurants aneinander, und vor den meisten haengen Lammhaelften in Glaskaesten oder an einem Gelaender. Kashgar ist, ganz vorab, rein subjektiv und nur vom ersten Eindruck her, einfach grossartig.

Das "Seman" steht auf dem Gelaende des alten russischen Konsulates, und bereits die kuehle, alte und reichverzierte Lobby sieht aus, ich hoffe ich verspreche jetzt nicht zu viel, wie ein nahoestliches Hotel in einem alten James Bond-Film. Bereits am Schalter treffe ich Sarah und Dave wieder, die ich zuvor in Urumqi getroffen hatte.

Auch an Kashgar sind die Bemuehungen der chinesischen Regierung, die Stadt zu "sinofizieren", nicht spurlos voruebergegangen. Aehnlich wie Urumqi bilden zwei grosse Strassen, die auch hier Volks- und Befreiungstrasse heissen, die Hauptachsen der Stadt, und als kuenstliches Stadtzentrum fungiert eine riesige, winkende Mao-Statue, die von Blumenbeeten eingerahmt ist, auf denen durch geschickte Bepflanzung zu lesen steht: "Die Kommunistische Partei lebe 10.000 Jahre !" Nur scheint das hier wirklich ueberhaupt keinen zu interessieren, und das wahre Stadtzentrum Kashgars ist nicht dieser etwas laecherliche, menschenleere Platz, sondern sie sagenhafte alte Stadt oestlich der gelben Id Kah Moschee. Sie besteht aus flachen Holzhaeusern, kleineren Moscheen und ungezaehlten kleinen Geschaeften , die sich zum grossen Teil auf der ungeteerten Strasse selbst befinden.

Schraeg gegen ueber vom "Seman", das an einem grossen runden Platz syeht, befindet sich ein weiteres "John's Cafe", wo sich, dem Namen nach wenig ueberraschend, saemtliche Rucksacktouristen infinden. John Hu ist ein eher wie ein Gebrauchtwagenhaendler wirkender chinesischer Geschaeftsmann mit von Tee braungefaerbten Zaehnen, der neben den Dingen auf der Speisekarte auch Fahrten mit dem Jeep an verschiedenste Ziele anbietet. Fuer eine Fahrt zum Torugart Pass, einem der Grenzuebergaenge nach Kirgisien hoch oben in den Bergen, berechnet er 200 US-Dollar, was sogar ihm zuviel erscheint: "Das ist nur fuer die chinesische Seite, drueben kostet es nochmal extra, nicht gerechnet die Sondererlaubnis. Am besten nehmen Sie den Bus ueber den Irkeshtam Pass nach Osh, das ist billiger." Der Bus nach Osh, einer Stadt im Fergana-Tal im Sueden Kirgisiens, faehrt nur Monatgs, und heute ist Dienstag abend. Reichlich Zeit in Kashgar also, zum Glueck: nach der Fahrt bin ich vollkommen erledigt, und die Erkaeltung, die ich mir in Dunhuang geholt habe, ist immer noch nicht vollstaendig verschwunden. In Kashgar ist es angenehm warm und trocken, nicht zu kalt und nicht zu heiss, hochsommerliches Wetter zum Abends draussen sitzen.

In der schattigen Lobby des "Seman" treffe ich auf zwei Reisende aus Hong Kong: der eine ist ein etwa dreissigjaehriger Franzose, der von Beruf Tontechniker ist und in Hong Kong vor allem Canto-Pop produzieren wollte. Jedoch sei die Branche gerade in der Krise, und jetzt nehme er vor allem Stimmen fuer sprechende Spielzeuge auf. "Genau, dass sind diese Puppen die 'Banzaiiii !!' schreien und solche Sachen. Total langweilig." Jetzt ist er auf der Suche nach neuen Einnahmequellen, und ueberlegt in den Handel mit orientalischen Antiquitaeten einzusteigen, falls sich hier in Xinjiang die passende Ware findet. Der andere Reisende ist Chester, ein junger, unglaublich britisch wirkender Hong Kong-Chinese, der in England zur Schule gegangen ist und in Manchester Werkstoff-Ingenieurswesen studiert hat. Er hat gerade seinen Job in Hong Kong gekuendigt, der ebenfalls mit Spielwaren zu tun hatte, genauer gesagt mit Spielwarengrosshandel. "Das ganz billige Zeug", meint er, "diese SB-Packs fuer Supermaerkte mit buntem Plastikspielzeug, die allerunterste Stufe. Das kriegt man in Guangdong fuer praktisch nichts hergestellt." Guangdong, die Hong Kong umgebende chinesische Provinz, ist nach seinen Worten die "Fabrik der Welt". Die Fabriken die er regelmaessig zur Akquisition und zur Kontrolle aufgesucht hat, sind nichts weiter als ein paar gemietete Zimmer, ein paar Tischen und Stuehle, die innerhalb eines Tages umziehen koennen, und vielen, extrem billigen Arbeitern aus dem chinesischen Inland. Bei Kost und Logis frei, bezahlt die Fabrik 360 Yuan im Monat, das sind etwa 45 Euro. Der Zustrom an Arbeitern ist unbegrenzt: "Die gehen in ihre Doerfer zurueck und haben richtig viel Geld in der Tasche." Viele der Fabriken sind beispielsweise in Dongguan, dem Checkpoint an der Grenze der Sonderwirtschaftszone Shenzhen, die man - offiziell - nur mit Sondergenehmigung betreten darf. Diejenigen die in der Kontrolle haengenbleiben und nicht reinkommen, koennen dafuer gleich in Dongguan anfangen. Shenzhen selbst produziert ein bisschen anspruchsvollere Gueter wie Halbleiter, Verpackungen und DVDs. China ist, kein Zweifel, das kapitalistischste Land der Welt, darin sind wir uns eigentlich alle einig. Wir gehen die Strasse vom Seman runter bis kurz vor einem Platz, der mit aus bunten Baellen bestehenden Lampen geschmueckt ist, die in ihrer Anordnung so aussehen wie riesige Modelle von DNS-Molekuelen. Kurz vor dem Platz befindet sich ein ausgezeichnetes uigurisches Restaurant, vor dem ein grosser Kebap-Grill steht, und essen den besten Laghman, den ich bisher bekommen habe.

Bei einem "Xinjiang-Beer" auf der grossen Zementterasse vor "John's Cafe" treffen wir spaeter eine Amerikanerin aus Tennessee, die jedoch nichts trinkt und eine Bibel mit Ledereinband unter dem Arm hat. Sie wohnt in Shanghai, lernt dort chinesisch und schreibt ein paar Artikel, jedoch alles "auf freier Basis". Auch sie will in den naechsten Tagen an den Karakul-See, der an der Strasse nach Pakistan auf etwa 4000 Metern liegt und von zwei ueber 7000 Meter hohen Bergen flankiert ist. Dave, Sarah, Chester und ich haben uns jedoch dazu entschlossen, nicht eine suendhaft teure Tour mit einem Jeep dorthin zu buchen, sondern mit dem oeffentlichen Bus zu fahren. Wir verabreden und fuer den naechsten Tag um neun Uhr, "Beijing-time", in der Lobby des Seman-Hotels.
 

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