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Der Bus nach Osh in Kirgisien fahert nur Montags. Am Vortag, am Sonntag, waren Chester, zwei Schwestern aus Kyoto und ein paar andere Japaner, die weiter nach Afghanistan wollen, auf dem beruehmten Sonntags-Markt in Kashgar. Obwohl der Markt nicht besonders exotisch wirkt und daher anscheinend viele erwartungsfrohe Touristen enttaeuscht, finde ich ihn dennoch grandios: allein seine Groesse ist vermutlich einmalig, die Marktstrassen ziehen sich ueber Kilometer hin, und es gibt praktisch alles zu kaufen, was in China hergestellt wird. Angeblich kommen jeden Sonntag etwa 50.000 Besucher aus ganz Xinjiang extra fuer den Markt nach Kashgar.

Der Bus ueber den Pass faehrt etwa vier Stunden spaeter los, was diesmal nicht etwa an kirgisischen Haendlern mit Tonnen von Gepaeck liegt, sondern an dem Umstand, dass der Busfahrer, ein feister, untersetzter Typ, ein ganze Reihe von Geschaeften in eigener Regie betreibt. Angeblich warten wir auf ein paar Passagiere, die jedoch nicht aufzutauchen scheinen. Im Bus sind eine ganze Reihe Auslaender: neben zwei Japanern (einer von ihnen ist fuer drei Jahre unterwegs und will weiter nach Kabul und Kandahar) ist ein finnischer Pastor mit seinem Neffen und zwei Glaubensbruedern mit rumaenischen und kirgisischen Papieren unterwegs; zuerst halte ich ihn fuer einen Lehrer, weil er dem kirgisischen Mitreisenden den englischen Satz “I love to read the bible” beibringt. Hier in den Bergen scheinen eine ganze Reihe Missionare unterwegs zu sein.

Die Strasse von Kashgar nach Irkeshtam, dem Grenzuebergang zwischen China und Kirgisien, ist neu angelegt worden. Wegen der grossen Verspaetung erreichen wir Irkeshtam gegen sechs Uhr abends Pekinger Zeit (vier Uhr Xinjiang Zeit), und die Grenze hat geschlossen. Ein russisch sprechender chinesischer Offizieer (der finnische Pater lebt in Usbekistan und spricht end perfekt russisch) erklaert uns, dass wir nicht etwa zu spaet dran sind, sondern dass die Grenze bereits den ganzen Tag geschlossen war, denn gestern war der kirgisische Nationalfeiertag, und deshalb wuerden heute die kirgisischen Grenzer ihren Rausch ausschlafen, da sei leider nichts zu machen. Wir muessen bis morgen warten. Der feiste Busfahrer behauptet von nichts zu wissen und nichts gewusst zu haben, was natuerlich glatt gelogen ist. Allmaehlich beginnen alle ihn wirklich unsympathisch zu finden.

Irkeshtam ist buchstaeblich der letzte und westlichste Aussenposten des chinesischen Universums. Auf ueber 3000 Metern gelegen, sind auch hier die Berge braun und hoch, und in der Ferne, offenbar schon in Tadschikistan, ist der schneebedeckte Hauptkamm der Fan-Berge zu sehen.

Anscheinend erwarten die Chinesen eine erhebliche Zunahme des Verkehrs, denn das Grenzabfertigungsgebaeude ist gross und ganz neu. Anonsten scheint auch an anderen Stellen investiert zu werden, zumindest sind ein paar Bautafeln aufgestellt, und an den windigen Strassenecken stehen wohlgestaltete Telefonhaeuschen der “China Telecom”. Die urbanen Telefonhaeuschen wirken hier oben in Irkeshtam jedoch vollkommen grotesk: die uebrigen Gebaeude sind notduerftig zusammengezimmert, neben den drei Strassen liegt ein gigantischer Schrottplatz, und die einzigen Menschen in den Strassen sind Grenzsoldaten und ein paar abgerissen aussehende Maenner.

Die Japaner und ich haben unser chinesisches Geld fast vollkommen ausgegeben, da wir nicht mit dem Stopp gerechnet hatten. Wir fragen solange herum, bis wir in einem Restaurant, das eigentlich nur ein leerer Raum mit zwei Tischen und einer Kochstelle ist, ein Abendessen bekommen. Statt einer Tuer ist eine Decke ueber die Tueroeffnung genagelt.

Die beiden anderen Gaeste, zwei aeltere chinesische Maenner, sind anfangs freundlich und schenken Tee nach. Jedoch laeuft gerade im Fernsehen ein chinesischer Propaganda-Spielfilm ueber das japanische Massaker in Nanking, und staendig werden in dem Film chinesische Frauen und Kinder von japanischen Offizieren erschossen. Das Essen kommt, und die Situation ist wirklich sehr unangenehm. Als wir zahlen und gehen, beginnt einer der Maenner einen meiner japanischen Mitreisenden zu beschimpfen und wird handgreiflich, der Wirt kommt aus der Kueche und beruhigt ihn. Wir verlassen den Raum und gehen zum Bus zurueck; es ist fast dunkel. Es gibt keinerlei Strassenbeleuchtung. Irkeshtam erscheint mit einem mal noch trostloser, verlassener und unangenehmer als zuvor. Wer hier freiwillig wohnt, muss in der Tat grosse Geschaefte erwarten, sonst gibt es eigentlich keinen Grund, hierzusein.

Hier oben, an der alten, hochsensiblen Grenze zur Sowjetunion, war jahrzehntelang die Welt zuende und die Strasse gesperrt, nur die Grenzposten belauerten sich von vorgeschobenen Wachtuermen entlang der Grenze. Von hier aus gesehen erscheint Kirgisien wie eine verwunschene Welt tief im Osten des untergegangenen Sojwetreiches. Die Nacht ist kalt und sternenklar.
 

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