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Der Service im “Hotel Sara”, einer alten russischen Villa im Stadtzentrum von Osh, ist eindeutig sowjetisch. Die Dame von der Rezeption, die den Charme eines Panzerkommandanten verstroemt, weckt mich morgens um acht mit heftigem Klopfen an der Tuer und den russischen Worten “ADMINISTRATOR !!”. Da ich noch kein Geld getauscht und somit noch nicht gezahlt habe, fuerchtet sie, ich wuerde mich einfach so aus dem Staube machen. Mit dem kirgisischen Gefolgsmann des Pastors, der uebersetzt, mache ich mich auf den Weg zu einer Wechselstube in der selben Strasse. Dann essen wir zum Fruehstueg einen kirgisischen Laghman, der jedoch ebenfalls eindeutig russisch ist: statt scharfer Gewuerze enthaelt er Kartoffeln, Quark und Dill. Nach der Busfahrt kann ich mich nicht dazu begeistern, schon wieder zwoelf Stunden zu fahren, ausserdem will ich mich ja von der Gruppe im Bus trennen. Die beiden Japaner und die Kirchenleute der “Greater Grace Church” machen sich auf den Weg, und ich bleibe in Osh.

Der Uebergang von China zu Europa ist abupt. Ich gehe ueber den Bazar, der viel kleiner als der Bazar in Kashgar ist, und gehe durch die birkenbestandene Haupstrasse in Osh, und befinde mich in einer osteuropaeischen Stadt, obwohl diese auf der gleichen Laenge mit Westindien liegt. Der Wechsel ist nur schwer zu fassen: ich bin nicht in einer fuer mich irgendwie bekannten, westlichen Umgebung gelandet, sondern in einer anderen, wiederum in sich abgeschlossenen Weltgegend, in der die Zeit offenbar langsamer vergangen ist als anderswo. Einer der ueberall in Kiosken verkauften wenigen westlichen Produkten ist “Fanta”, die jedoch hier in denselben gerippten Glasflaschen angeboten wird, die in Deutschland Ende der Achtziger Jahre aus den Laeden verschwunden und offenbar alle hierher gebracht worden sind, die Flaschen sind abgewetzt und alt. Ueberhaupt ist alles alt: die alten russischen Autos, die nach ausgelaufenem Benzin und Zweitakt-Motor riechen, die Siebziger Jahre Kleidung der Passanten, die alten Haeuser, die verfallenden Strassen, das verkommende Lenin-Denkmal. Ein zwanzig Jahre alter Bus faehrt die Strasse entlang, auf dessen Seiten “Jaegermeister” steht und der als Fahrtziel auf deutsch “Stelen, S-Bahn” angibt.

Das alles ist so seltsam, so unerwartet und auf kuriose Weise gleichzeitig auch so vertraut, dass ich nicht weiss, ob ich Osh und die alte sowjetische Welt enttaeuschend oder aufregend finden soll. Unter Zentralasien hatte ich mir vage orientalische, muslimische Laender vorgestellt, aber hier in Osh bin ich in einem grossen, animierten Ostblock-Museum gelandet. Ich gehe in das Café an der Haupstrasse und bestellte noch einen Laghman, weil ich ueberhaupt nicht weiss, was ich den ganzen Tag in Osh anfangen soll. Ich bin vollkommen ratlos. Vielleicht bleibe ich hier einfach sitzen und schaue mir das alles an. Damit hatte ich nicht gerechnet, zumindest nicht hier, so weit im Osten, nur ein paar Busstunden von China entfernt.

Am naechsten Morgen mache ich mich auf den Weg zu dem Parkplatz, auf dem die Autos nach Bischkek abfahren. Die Fahrt soll etwa zwoelf Stunden dauern und etwas mehr als zehn US-Dollar kosten.
 

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