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Auf dem Parkplatz in Osh stehen etwa einhundert Autos verschiedensten Alters, die alle kleine, selbstgefertigte Pappschilder mit kirgisischen Staedtenamen hinter der Windschutzscheibe liegen haben. Die Fahrer stehen in der Einfahrt und halten Ausschau nach herannahenden Passagieren. Mit meinem roten Wanderrucksack bin ich in meinen Absichten leicht zu erkennen. Wie vermutlich ueberall auf der Welt sind auch hier die angebotenen Preise von der Groesse der Sonnenbrille abhaengig. Der guenstigste Fahrer ist schliesslich ein zurueckhaltender, sympathisch wirkender aelterer Herr, der wie viele hier in der Gegend goldueberkronte Zaehne hat und einen wirklich riesigen, glaenzend schwarzen Wolga faehrt.

Die Autos fahren natuerlich erst los, wenn sie voll sind, und da in der naechsten halben Stunde kein einziger weiterer Passagier auf dem Parkplatz auftaucht, wird klar, dass ich mich auf einen laengeren Aufenthalt einrichten muss. Mit dem einzigen anderen Passagier gehe ich in eine Art Freiluftrestaurant am Rande des Platzes, und bekommen, wie in ganz Asien ueblich, eine Kanne Tee serviert. Der andere Passagier spricht anscheinend nur usbekisch, aber selbst wenn er russisch koennte, wuerde ich mich auch nicht mit ihm unterhalten koennen. Wir sagen die Worte “Bischkek”, “Osh” und “Germanija”, sind uns einig und giessen uns gegenseitig neuen Tee nach. Einstweilen passiert auf dem Parkplatz weiterhin fast nichts. Ein paar Passagiere in andere Orte in Kirgisien tauchen auf und werden von den Fahrern bereits auf der Strasse anbgefangen. Unser Fahrer lehnt hingegen mit in paar anderen an seinem etwas abseits stehenden Wolga und betrachtet interessiert das Geschehen. Langsam wird mir klar, dass das hier wirklich sehr lange dauern wird.

Schliesslich frage ich, nach einer weiteren Kanne Tee, mit Hilfe meines kleinen Russisch-Taschenwoerterbuches den Fahrer, wann wir denn wahrscheinlich in Bischkek ankommen werden, und er antwortet: “Morgen um fuenf”. Damit meint er fuenf Uhr morgens am naechsten Tag. Da es jetzt gerade mal zehn Uhr morgens ist und unser Fahrer offenbar ein sympathischer Mensch, aber kein besonders gewitzter Geschaeftsmann ist, beschliesse ich, dass ich einen schnelleren Weg nach Bischkek finden muss.

Etwa eine halbe Stunde spaeter sitze ich auf dem Beifahrersitz eines anderen, diesmal weissen Wolga, und verlasse Osh ueber eine sehr breite, aber nur wenig befahrene Ausfallstrasse. Hinter mir sitzt Joni, ein angehender Student mit seiner Mutter, der auf dem nach Bischkek ist, um von dort aus nach Ankara zu fliegen, wo er an der “Middle Eastern Turkish University” Computer-Ingeneurswesen oder etwas aehnliches studieren wird. Er spricht sehr gut englisch und, da er ja in der Tuerkei leben wird, auch tuerkisch. In Osh war er auf einer tuerkischen Schule, die von tuerkischen “biznizmen” finanziert wird. Wir halten ausserhalb von Osh an einem kleinen Bazar, um einen weiteren Passagier abzuholen, und Joni erzaehlt mir, dass tuerkische Geschaeftsleute hier in Kirgisien und in Usbekistan sehr aktiv sind. Das erklaert auch die grosse Anzahl an deutschen Gebrauchtwagen, die auf den Strassen unterwegs sind. Je laenger wir unterwegs sind, desto mehr faellt mir auf, das tatsaechlich die Mehrheit der Autos nicht Ladas oder Wolgas, sondern alte Audi 100, Golfs und Mercedes sind. Wir warten auf den weiteren Passagier, der anscheinend noch auf dem Bazar einkauft, und ich betrachte den parkenden Audi vor uns, der einen deutschen Aufkleber auf der Heckscheibe kleben hat: “Und schon wieder ein Audi vom Autohaus Wrublewsky !”. Dahinter steht ein Transporter von der “Deutschen Asphalt Berlin”. Das ganze sieht, hier vor dem Bazar, ziemlich merkwuerdig aus.

Der vierte Passagier ist eine aeltere Frau mit buntem Kopftuch. Die meisten Leute hier unten im Ferganatal um Osh sind keine Kirgisen, sondern Usbeken. Als sowjetische Parteifunktionaere vor etwa siebzig Jahren die Grenzen der damaligen Sowjetrepubliken festlegten, vermutlich bei ein paar Flaschen Wodka, dachte kein Mensch daran, dass diese Gebilde jemals unabhaengige Staaten sein wuerden, denn dafuer sind die Grenzen vollkommen ungeeignet. Weil etwa die Strasse nach Bischkek fuer einige Kilometer ueber heute zu Usbekistan gehoerendes Gebiet fuehrt, biegen wir von der Hauptstrasse ab und folgen dem Verkehr ueber eine staubige Nebenstrasse, um das Stueck zu umgehen. Das Ferganatal, in dem Osh liegt, ist heute von den willkuerlichen, vollkommen wirren Grenzen zerteilt und gehoert heute zu Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan. Eisenbahnlinien verlaufen quer ueber durch die verschiedensten Laender, oftmals fuer nur wenige Kilometer, und sind dadurch fuer den normalen Verkehr praktisch unbrauchbar geworden. Manche Gebiete im Ferganatal sind nur noch ueber grosse Umwege zu erreichen.

Genauso wie das Oberrheintal ist das Ferganatal trotz seines Namens kein Tal, sondern eine grosse, flache, fruchtbare Ebene, die am Horizont von hohen Bergen begrenzt wird. Wir fahren durch kleine Doerfer mit Holzhaeusern, spielenden Kindern und Pferden, Eseln und Schafen. Die Haeuser haben bunte Fensterrahmen und sind von Obstgaerten umgeben. Es ist Erntezeit. Das Ferganatal wirkt wie eine laendliche Idylle, in der die Jahreszeiten noch eine Rolle spielen und in der die Menschen, obwohl trotz der allgegenwaertigen Wirtschaftskrise, gluecklich aussehen. In dieser Gegend spielt eine der schoensten Liebesgeschichten der Weltliteratur, naemlich das Buch “Djamilia” des kirgisischen Schriftstellers Chingis Aitmatov, und je laenger wir durch das Ferganatal fahren, desto mehr meine ich zu verstehen, warum diese Geschichte ausgerechnet aus Kirgisien kommt.

Wir halten in der Naehe von Jalalabad und essen “Osh”. Dieses “Osh” hat jedoch nicht mit der Stadt Osh zu tun, sondern ist ein grosser Berg von mit geduensteten Karotten gemischter Reis, der mit Fladenbrot, frischen Tomaten und Lamm gegessen wird. Wir sitzen auf einer wie ein Bett ausssehenden Plattform, auf der Teppiche und Kissen ausgelegt sind. Meine Mitreisenden fragen mich, ob schon einmal “Osh” gegessen habe und wie ich “Osh” denn faende. “Osh” ist das usbekische Nationalgericht, und wirklich ganz ausgezeichnet. Wir trinken dazu Unmengen Tee, und allmaehlich wird es Nachmittag. Bis Bischkek sind des noch etwa sechshundert Kilometer.

Die Berge noerdlich des Ferganatals sind hoch und nur spaerlich besiedelt. Die Ortschaften entlang der Strasse verlieren schnell jeglichen Anschein von Idylle; stattdessen sind sie verfallen, die Gebaeude wirken heruntergekommen und die wenigen Bewohner auf den Strassen gedrueckt und deprimiert. Hier gibt es keine Arbeit und keine Perspektive, sondern nur die unwirtlichen Berge und viel zu viel und viel zu billigen Wodka in den wenigen Geschaeften. Hier moechte ich nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein unterwegs sein.

Wir ueberqueren einen Pass und erreichen einen grossen Stausee, dann noch einen Pass und dann noch einen. Die Strasse ist relativ stark befahren. Die vielen Audis und Mercedes auf den Strassen, viele noch mit dem “D”-Aufkleber, geben ein eigenartiges Bild ab und verzerren die Vorstellung von den wahren Distanzen, so als sei dies hier nicht tief in Asien, sondern ein europaeisches Nachbarland, Berlin scheint nur einen knappen Tag mit dem Auto entfernt.

Nach zwoelf Stunden naehern wir uns Bischkek. Die Vorstellung, hier allein und nachts ein bestimmtes Gasthaus zu suchen, nicht zu wissen ob dort ein Bett frei ist, ohne russisch zu koennen, und moeglicherweise der unglaublich korrupten Polizei in die Arme zu laufen ist wirklich sehr, sehr unangenehm. Alles, was ich vorerst von Bischkek sehe sind spaerlich beleuchtete, baumbestandene Strassen, es ist wirklich dunkel, so wie frueher in Ost-Berlin.
 

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