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Die Adresse des "Bed & Breakfast" liegt tatsaechlich genau gegenueber der deutschen Botschaft. Die Botschaft ist in einer kleinen Villa untergebracht und von einem hohen, offiziell aussehenden schmiedeeiseren Gitter umgeben. Die "Uliza Razzakowa" ist mit alten Alleebaeumen bestanden. Ein Loch im Boden, auf dem Sandweg vor dem Botschaftszaun, ist mit dem verrosteten, harfenaehnlichen Inneren eines Klavieres abgedeckt.

Das Haus von Mr. Sabyr ist ebenfalls eine alte Villa, jedoch ist diese nicht so gepflegt wie die deutsche oder die benachbarte russische Botschaft, sondern fast vollstaendig von wildem Wein ueberwuchert. Neben dem Eingangstor wird gerade eine Art Kiosk aus Blechteilen zusammengeschweisst. Im Innenhof stehen bemalte Steine, allerlei Kunstgegenstaende und ein alter Lada. Hinter dem Haus ist ein vollkomen verwilderter Garten, und mitten im Garten steht ein alter, hoelzerner Pavillion. Vor der von Saeulen gesaeumten Eingagngstuer liegt ein Hund, ein paar Huehner laufen herum, und weiter hinter im Garten stehen ein alter Herd und eine Waescheleine.

Das Innere des Hauses in der Razzakowa, das Mr. Sabyr und seinen zwei Bruedern gehoert, zeugt von Bildung und Kultur; im Hausflur und im Treppenhaus haengen Portraets eines kirgisischen Mannes, in verschiedenen Lebensabschnitten und in verschiedener Ausfuehrung, in Oel, in Tusche und als Kreidezeichnung. Das Portraet im Treppenhaus bedeckt fast die ganze Wand. Der Mann auf den Bildern ist der Vater von Mr. Sabyr und seinen Bruedern, und wenn man Mr. Sabyr auf ihn anspricht, so antwortet er etwas zoegerlich, dass sein Vater ein sehr, sehr bekannter Schriftsteller in Kirgisien war, der allerdings nur auf kirgisisch veroeffentlicht wurde. Dies ist sein altes Haus, in dem Mr. Sabyr und seine Brueder grossgeworden sind.

Mr. Sabyr spricht sehr gutes englisch, und hat die Angewohnheit, seine Gaeste mit "Mr." und "Mrs." und dem jeweiligen Vornamen anzusprechen, wobei jedoch ein Funken Verschmitztheit mitklingt. Dementsprechend ist er ein aelterer, weisshaariger Mann mit einem gutmuetigen Gesicht und Lachfaeltchen um die Augenwinkel. Von ihm geht eine gewisse wuerdevolle, aber ungemein umgaengliche Ruhe aus. "Ah, Mr. Simon und Mr. Ian", begruesst er seine Gaeste in der Kueche zum Fruehstueck, und der Kuechentisch ist tatsaechlich ein familiaerer Mittelpunkt des Hauses.

Insgesamt gibt es vier vermietete Zimmer fuer maximal neun Gaeste. Mr. Ian und Mr. Simon sind englische Medizinstudenten, die laenger im Haus wohnen und in Bischkek arbeiten. Dann gibt es Mr. Komichiro, genannt "The Horseman", ein japanischer Hobbyarchaeologe, der seinen Job bei einer japanischen Oelfirma gekuendigt und kirgisisch gelernt hat, und nun Reiterkulturen und die zentralasiatische Falkenjagd erforscht. Dann gibt es wechselnde Gaeste, Leute die mit dem Auto aus der Schweiz gekommen sind, ein Japaner, der mit dem Fahrrad aus Moskau gekommen ist, Mr. Ken, ebenfalls Japaner, der in Bischkek an einem Musikwettbewerb fuer das traditionelle kirgisische Saiteninstrument teilgenommen hat (und danach, wie mir Mr. Sabyr verraet, aus Frustration ueber die Ignoranz der ihn auslachenden kirgisischen Zuschauer das Instrument zerrtruemmert hat), und Mr. Koji, der seit zwei Wochen hier ist und auf verschiedenste Visa fuer die obskursten Staaten in der ehemaligen Sowjetunion wartet.

Der juengere Bruder von Mr. Sabyr, etwa 50 Jahre alt, sitzt Tag ein, Tag aus in dem Pavillion und loest ein Kreuzwortraetsel. Vor ihm steht ein altes Telefon der Deutschen Bundespost, dass er mit blanken Draeten irgendwo im Haus angeschlossen hat. Hinter ihm, auf dem Gelaender des Pavillions, steht ein weiteres Sammelsorium von Telefonen verschiedenster Bauart. Er wohnt in einem Zimmer gleich links neben der Eingagngstuer. Das Zimmer ist von oben bis unten mit Geruempel, alten Telefonen und alten Radiogeraeten vollgestellt, es macht einen verwahrlosten Eindruck.

Der aeltere Bruder von Mr. Sabyr war einmal Maler, von ihm sind die meisten der Gemaelde des Vaters. Nun hat er mit seinen Freunden den verrueckten Kiosk neben dem Tor errichtet, und trinkt daher noch mehr als zuvor. Meistens ist er bereits gegen Mittag betrunken und versucht zuweilen, die Gaeste des Hauses zum Mittrinken zu bewegen. Einmal sagt Mr. Sabyr abends in der Kueche: "Sehen sie, ich habe ein Problem, nein, eigentlich zwei: mein aelterer Bruder denkt, er sei ein bedeutender Maler, aber er trinkt nur noch; und mein juenger Bruder ist - wie soll ich es sagen - seltsam."

Staendig sind Leute im Haus, Neffen und Nichten, Freunde und Bekannte, und nie ist ganz klar, ob sie im Haus wohnen oder nicht. Mr. Sabyr wohnt mit seiner Frau anscheinend in einem der Zimmer im Obergeschoss. Das Zimmer ist fast bis zur Decke mit Papier zugestapelt, das aussieht wie Manuskripte.

Tagelang versuche ich bis in das innere der usbekischen Botschaft vorzudringen, um mein Visum zu beantragen. Es gibt nichts besonderes zu tun in Bischkek, und anfangs bedrueckt mich die im Grunde immer noch sowjetische Realitaet, die allgegenwaertige Polizei, die es auf Auslaender abgesehen hat, die seltsame Leere, trotz der Baeume, der renovierten Haeuser und der Sonne wirkt die Stadt grau. Das Haus von Mr. Sabyr ist eine merkwuerdige Insel in alledem. Ein deutscher Gast, ein etwa vierzigjaehriger Koelner namens Mr. Rolf, sagt ueber das Haus, es sei hier ein wenig wie auf dem "Zauberberg" von Thomas Mann: die Zeit scheint stillzustehen, und kaum ist man gekommen, sind Jahre vergangen. Ich bleibe zehn Tage.
 

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