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Alischer, einer der wenigen Gaeste auf Umids Hochzeit der englisch sprach, hatte mich zu sich nach Hause eingeladen. In Taschkent muss ich auf das iranische und das turkmenische Visum warten. Alischer wohnt mit zu seiner Mutter und seiner Schwester in einem sowjetischen Plattenbau in der Naehe des Flughafens. Zwischen den Wohnbloecken verlaufen dicke Heizungsrohre auf Stelzen, so wie auf einem Industriegelaende. Die Wohnung selbst ist aber gemuetlich und schoen, was man dem Haus von aussen nicht ansieht. Die Khalmatows sind von so grosser Herzlichkeit und Gastfreundschaft, dass ich schlicht nicht weiss, was ich tun soll. So etwas habe ich noch nie erlebt. Da die Wohnung bereits fuer drei Leute zu klein ist, ziehen Alischer und ich in ein gerade nicht vermietetes Haus im Zentrum Taschkents, das Alischers Tante gehoert.

Taschkent wurde in den sechziger Jahren - das genaue Datum kann einem buchstaeblich jedes Kind in Taschkent sagen - vollkommen zerstoert und nach den Vorstellungen sowjetischer Stadtplaner vollkommen neu errichtet.
Die Stadt ist sehr gross, sehr sowjetisch und hat die Athmosspaere der Hauptstadt eines Polizeistaates. Ueberall ist Polizei: in der Ubahn, in den Strassen, vor den Eingaengen von Banken und Hotels. Hier muss man, so wird klar, nicht vor Kriminalitaet Angst haben, sondern vor der Polizei. Das Viertel, in dem das Haus der Tante steht, liegt jedoch zwischen zwei Boulevards und hat etwas doerfliches. Dort werden, vermutlich als einziger Ort in Taschkent, neue Haeuser gebaut: hierher ziehen Botschaftsangestellte und reiche Taschkentliks, und die meisten alten Bewohner werden irgendwann wegziehen. An den Boulevards selbst, abseits des Zentrums, macht Taschkent manchmal den Eindruck einer Stadt in der Dritten Welt, die noch von den von der Sowjetunion ueberlassenen Strukturen der Ersten Welt zehrt.

Ich warte etwa eine Woche auf meine Visa. In dieser Zeit werde ich fast in Taschkent heimisch, kenne die Laeden, Leute, habe Freunde, und weiss, wo es das beste Fladenbrot zu kaufen gibt. In bin in unfassbar heruntergekommenen Wohnungen, bei unglaublich freundlichen Menschen, in den finstersten und in den teuersten Gegenden von Taschkent. Alle, mit denen ich spreche, wollen weg aus Usbekistan, weil es schlichtweg keine Zukunft gibt. Viele verdienen zwanzig US-Dollar im Monat. Ilhom, der auch auf der Hochzeit war, verdient als Assistent beim Lehrstuhl seiner Universitaet umgerechnet nur acht Dollar im Monat. Davon kann niemand leben, auch in Usbekistan nicht, und wie es doch funktioniert, bleibt ein Raetsel. Alles ist schwierig, selbst ein einfacher Telefonanruf innerhalb Taschkents ist schwierig, weil die Verbindung oftmals so schlecht ist, dass man nichts verstehen kann.

Deutschland erscheint in Usbekistan wie ein Traum von einer besseren und vor allem gerechteren Welt, in der es Arbeit und Zukunft gibt. Ist es leicht, in Deutschland Arbeit zu finden? Wie schwierig ist das mit dem Visum? Braucht man eine Einladung? In welchem Beruf kann man am besten arbeiten?

Eines Abends landen wir mit Max, ein Freund von Alischer aus der Nachbarschaft, bei Stanislaw und Eugenij, zwei russische Brueder, die einen Getraenkestand auf dem Markt bereiben und somit unter die "businezmen" gegangen sind. Stan und Max haben zusammen studiert und einen praktisch wertlosen Abschluss erworben, weil es in diesem Berufsfeld sowieso keine Arbeit gibt. Wir treffen Stan und Eugenij auf dem "Broadway", der jahrmarktartigen Ausgehstrasse im Zentrum von Taschkent. Die beiden haben sich gerade fuer ihr Geschaeft einen gebrauchten Kleinbus aus tuerkischer Produktion angeschafft, mit dem wir zwei Stunden bei lauter Musik im naechtlichen Taschkent herumfahren. Die Stadt ist nachts dunkel, die Strassenlaternen verbreiten, aehnlich wie frueher in Ost-Berlin, ein truebes, orangenes Licht. Einmal halten wir an einer Asufallstrasse, wo die beiden "schwarz" Diesel kaufen, weil sich bei den Preisen an der Tankstelle das Geschaeft nicht lohnen wuerde. Schliesslich fahren wir in ihre Wohnung, die in einem Plattenbau genau am Stadtrand liegt. Hier bleiben die Strassenlampen aus Kostengruenden abgeschaltet, und die Strasse ist fast vollstaendig dunkel. Wir versuchen ein paar Flaschen Bier an einem Kiosk zu kaufen, es ist jedoch ausverkauft, es gibt nur Wodka, der pro Flasche genauso viel wie eine Flasche billiges "Karagandinskij"-Bier kostet. Die Wohnung erreicht man durch ein verfallenes Treppenhaus, in dem die Bewohner des Plattenbaus Sperrmuell abgestellt haben, wundersamerweise ist das Licht in diesem Treppenaufgang nicht kaputt, dafuer ist an manchen Stellen das Treppengelaender herausgerissen. Die Wohnung selbst ist fast leer, im Wohnzimmer sind nur zwei bunte, usbekische Matratzen zum sitzen und liegen, und in der Ecke steht ein alter Fernseher auf einem Holztuhl. Der Boden ist mit braunem, duennen Linoleum belegt. Eugenij faengt an, in der Kueche blass aussehende Wuerstchen zu braten, und im Fernsehen laufen auf einem russischen Musiksender amerikanische Heavy-Metal-Videos aus den Achtziger Jahren. "Die beiden sind wie Kinder", sagt Alischer einmal zu mir, "schau dir nur mal die Wohnung hier an!" Schliesslich hat jemand doch noch Bier aufgetrieben, so dass ich nicht mit Stanislaw und Max die Flasche Wodka austrinken muss. Wir stossen auf Berlin an, und auf Taschkent, und auf alles moegliche. Wie scheinbar alle Russen wollen auch Stan und Eugenij nach Berlin. Schliesslich, nach vielen theatralischen Toasts auf die Zukunft, sage ich den beiden, dass das Leben in Deutschland und Berlin nicht das Paradies und keinesweigs einfach ist, vor allem fuer Immigranten, als Max mich unterbricht und bestimmt sagt: "Das ist uns allen voellig klar. Aber du hast keine Vorstellung davon, WIE beschissen hier alles ist!"

Fuer ein Wochende fahre ich nach Samarkand und bin am Sonntag abend wieder in Taschkent. Am Montag sind beide Visa fertig, und ich nehme mit Mr. Koji, den ich zufaellig an der turkmenischen Botschaft wiedergetroffen habe, den Nachtzug nach Bukhara, um von dort aus am Dienstag weiter nach Turkmenistan zu fahren. Die Khalmatows bringen mich zum Taschkenter Bahnhof, und es ist ein Abschied von Freunden.
 

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